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Wie wir dank unseres individuellen Gencodes länger leben könnten

Interview

„Wir werden unsere Lebensdauer deutlich ausdehnen können“

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    Der Gencode eines Menschen verrät oft mehr über die Gesundheit als man denkt.
    Der Gencode eines Menschen verrät oft mehr über die Gesundheit als man denkt. Foto: dpa (Symbolbild)

    Herr Dr. Wallerstorfer, Sie sind Molekularbiologe, promovierter Biotechnologe und betreiben bei Salzburg die Firma Novogenia, die im großen Stil Genanalysen durchführt. Eine Ursache, warum Sie sich mit Genetik befassen, ist auch, dass Sie selbst an einem Gendefekt leiden. Wollen Sie uns erzählen, wie Sie das herausfanden und um was es sich handelt?
    DANIEL WALLERSTORFER: Durch einen Gendefekt leide ich an einem so genannten Alport-Syndrom, das ist eine fortschreitende Nierenschwäche, die im Laufe der Zeit zu einem Nierenversagen führt. Diese Erkrankung war in meiner Familie schon länger bekannt, so war etwa ein Cousin von mir betroffen, der schon früh eine Spenderniere brauchte. Zum Glück haben wir bei uns in Österreich genügend Spenderorgane, weil bei uns die Rechtslage so aussieht, dass jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, im Todesfalle seine Organe spenden zu wollen, ein Organspender ist. Wegen dieser familiären Häufung des Gendefektes habe ich bei mir auch eine Genanalyse machen lassen – mit dem entsprechenden Ergebnis, wonach ich auch an einem Alport-Syndrom leide. Ich habe aber einen bislang schwachen Verlauf. Die Folgen des Gendefektes können bei mir mit Medikamenten hinausgezögert werden, ich kann damit gut umgehen. Ich bin jetzt 42 Jahre alt. Mit etwa 60 Jahren muss ich mit einem Nierenversagen rechnen.

    Sie haben in Ihrer Firma schon die Gene von über 300.000 Menschen untersucht. Was kann man alles mit Genanalysen herausfinden?
    WALLERSTORFER: Es gibt rund 6000 genetische Erkrankungen, die meist ein Schicksal sind. Es gibt aber auch zahlreiche Gendefekte, die den Ausbruch einer Erkrankung wahrscheinlicher machen können. Dazu gehören Thrombosen, viele Formen von Krebserkrankungen wie etwa der Brust, der Prostata, der Haut oder der Lunge, die Makuladegeneration des Auges, Osteoporoseformen, Diabetes. Wir konzentrieren uns bei unseren Analysen vor allem auf Gendefekte, deren Folgen man gut behandeln kann.

    Können Sie uns ein Beispiel nennen?
    WALLERSTORFER: Es gibt zum Beispiel ein Gen, das wichtig ist für die Produktion und Verwendung von Vitamin D im Körper. Es ist inzwischen belegt, dass ein Vitamin-D-Mangel mit einem erhöhten Aufkommen von Brustkrebs einhergeht. Liegt ein entsprechender Gendefekt vor, gibt es trotz normalem Blutspiegel einen Mangel an Vitamin D. Wer weiß, dass er einen solchen Gendefekt hat, kann sich ganz anders auf die Situation einstellen und Vitamin D aktiver zuführen. Ein weiteres wichtiges Beispiel ist die so genannte Pharmakokinetik. Der Begriff bedeutet in etwa, wie gut ein Medikament von einem Organismus aufgenommen wird und wie gut es in der Folge wirkt. Die Pharmakokinetik wird aber auch stark von den Genen beeinflusst. Inzwischen weiß man, dass rund 2000 Medikamente bei dem einen Patienten gut und bei dem anderen vielleicht kaum oder eben gar nicht wirken. Das kann man durch eine Genanalyse entsprechend erkennen und das beeinflusst die Therapie.

    Das klingt sehr spannend. Gibt es weitere wichtige Aspekte?
    WALLERSTORFER: Ja, etwa in der Nutrigenetik. Der Begriff bedeutet, dass die Aufnahme von Nährstoffen durch unsere Ernährung ebenfalls aufgrund von Genen stark beeinflusst werden kann. Beispiele sind Laktoseintoleranzen oder Glutenintoleranzen. Oder: Bei manchen wird Folsäure aktiviert, bei anderen bleibt der Nährstoff nutzlos. Einen ganz wichtigen Einfluss haben die Gene auch auf die Gewichtsregulation. Jeder hat schon mal davon gehört: Der eine zählt Kalorien und nimmt ab, die andere zählt Kalorien, nimmt aber trotz gleicher Kalorienaufnahme nicht ab. Das sorgt dann für Kopfschütteln. Dabei sind es die Gene, die steuern, wie etwa Fett oder Kohlehydrate in unserem Darm aufgenommen werden. Das lässt sich durch eine Genanalyse herausfinden. Ich zum Beispiel muss Pasta essen, um abzunehmen. Von Fetten sollte ich dagegen die Finger lassen.

    Seit wann gibt es Genanalysen?
    WALLERSTORFER: Genanalysen gibt es seit 1982. Aber es dauerte sehr lange, bis die Menschheit den genetischen Code des Menschen vollständig entschlüsselt hatten. Erst seit Mai 2021 gilt das menschliche Genom als komplett entschlüsselt. Uns gibt es seit 16 Jahren und wir untersuchen eingesandte Proben in unserem eigenen Labor. Zu unseren Kunden gehören aber auch große Kliniken. Das Entnehmen einer Probe ist technisch relativ einfach. Das kann jeder selbst bei sich tun, es handelt sich um eine Speichelprobe.

    Es gibt Menschen, die sagen: Ich will gar nicht, dass ich weiß, welche Gendefekte ich habe, weil das mein Leben belasten könnte. Wie stehen Sie dazu? Auch, weil Sie ja selbst betroffen sind…
    WALLERSTORFER: Es gibt Umfragen, die belegen, dass 68 Prozent der Menschen wissen wollen, ob sie beispielsweise einen tödlichen Gendefekt in sich tragen. Sie würden dann bestimmte Schlüsse für sich daraus ziehen wollen und beispielsweise nicht mehr fürs Alter sparen. Wir konzentrieren uns sehr auf so genannte Präventionsanalysen. Das heißt: Wir machen uns vor allem auf die Suche nach Gendefekten, deren Folgen man auch behandeln kann. Ein Beispiel: Es gibt einen Gendefekt, bei dem immer mehr Eisen im Körper eingelagert wird, was den Körper langfristig vergiftet und zerstört. Der Betroffene weiß das aber nicht, es sei denn, er macht eine Genanalyse. Er hat dann mit diesem Wissen die Möglichkeit, für sich zu entscheiden: Will ich etwas dagegen tun oder nicht? In diesem Fall kann er etwa seinen Eisenspiegel mit mehreren Blutspenden pro Jahr bedeutsam senken. Er muss es halt bloß wissen…

    Gesetzten Falles, ich würde eine Genanalyse bei Ihnen machen wollen: Ist das teuer?
    WALLERSTORFER: Wir bieten unterschiedliche Modelle an, die Kosten für eine Analyse etwa im Bereich Gewichtsregulation samt einem ausführlichen Plan, wie man das am besten dann auch vornimmt, beginnt bei etwa 300 Euro. Das Anordnen einer konkret medizinisch begründeten Analyse muss aber über einen Arzt laufen. Wer hier Fragen hat, sollte sich also an seinen Arzt wenden.

    Wie ist der aktuelle Stand bei der Genanalyse: Was kann man noch nicht herausfinden und was glauben Sie, wird bald möglich sein?
    WALLERSTORFER: Bis vor zwei Jahren haben wir gedacht: Ein Gendefekt codiert eine bestimmte Erkrankung. Seit dem Aufkommen von künstlicher Intelligenz können wir in großen Datensätzen immer mehr Muster erkennen, die uns bislang verborgen waren. Ich glaube, dass wir dann selbst bestimmte Fragen des Lebensstils – wie etwa: wieviel Tee trinke ich und was bewirkt das eigentlich? – anders aufschlüsseln können. Das ist alles sehr spannend.

    In der Tat klingt das sehr spannend: Welche Entwicklungen sehen Sie noch in der Zukunft?
    WALLERSTORFER: Wir werden überdies immer mehr in der Lage sein, Gendefekte zu reparieren. In 20 Fällen geht das ja jetzt schon. Es bleiben aber noch 6000 genetische Krankheiten übrig, die zu reparieren wären. Wir wissen inzwischen, dass Zellen grundsätzlich ewig leben können. Ich denke, dass wir zusehends mehr in der Lage sein werden, Gendefekte zu reparieren und dadurch auch unsere Lebenserwartung deutlich ausdehnen zu können. 
    Zur Person: Dr. Daniel Wallerstorfer, geboren 1982 in Salzburg, ist Molekularbiologe und promovierter Biotechnologe. Er gründete 2009 in Salzburg die Novogenia GmbH, einem Genlabor mit über 250 Mitarbeitern.

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